Altarhandel

Neues zum Altarhandel von Schwanden 1595

«Ein ewigs gschefft»
Christoph H. Brunner

Rechtslage
Hintergrund des Altarhandels war der Landesvertrag von 1564 zwischen Evangelisch und Katholisch Glarus sowie zwischen ihren Schutzherren, den Orten um Zürich und Bern und den Fünf katholischen Orten (LU, UR, (SZ), UW, ZG). Er garantierte den hälftigen Anteil (das Simultaneum) der Katholiken an der Kirche Schwanden und am Schwander Kirchengut (inklusive eines Pfrundhauses), symbolisch dokumentiert durch den katholischen Altar, tatsächlich aber durch Zahlungen an die katholische Kirchgemeinde Glarus (bis 1862).


Tat und Täter
Im Mai 1595, „nachts“ - kein genaues Datum - gingen mehrere „unruhige Gemüter“ – keine Zahl, keine Namen - gegen den einzigen, noch bestehenden, den „blossen“, bilderlosen Altar im Chor der Kirche Schwanden vor. Sie schlissen den gemauerten Altar-Block und trugen ihn bodeneben ab. Der Altarstein selbst, die mit Kreuzen und wohl einer Vertiefung für Reliquien versehene, gesalbte und geweihte Steinplatte in einem Stück auf dem Block, wurde nicht zerschlagen - Ehrfurcht der Barbaren oder Angst vor Reaktionen? - Vielsagend ist der genannte Zeitpunkt: „nachts“, nächtlicherweise, heimlich. Die lichtscheuen Gesellen wussten, was sie taten. Kein spontaner Vandalenakt, wo doch Vorbereitungen (Werkzeug, Kerzen) nötig waren. - Landammann und Rat zogen die offenbar angezeigten und durch Zeugen überführten Übeltäter vor dem 15. Juli zur Rechenschaft:
„Wir fragten sie, aus was für Ursachen dies durch sie geschehen sei. Dazu gaben sie diesen Bescheid und Antwort: Dass sie es aus keinen anderen bewegenden Ursachen getan hätten denn allein deshalb, weil zu dieser Zeit niemand in Schwanden begehre, die Messe zu hören. Sie hätten hiermit lediglich in der Kirche etwas Platz für Kirchenbänke und –sitze schaffen wollen. Und wiewohl die Tat von den übrigen gemeinen Kirchgenossen nicht angeordnet worden sei, hofften sie, es sei damit der Kirchgemeinde nicht missgedient. Sonst sei dies niemandem zu Tratz, Widerwillen, oder Verdruss geschehen. Die Übeltäter baten ganz untertäniglich, man wolle ihnen dies nicht als böse Absicht auslegen. Denn sie seien jederzeit [...] gesonnen, alle Vertragswerke einzuhalten. [...] Sie hätten nie gedacht, aus dieser Tat erwachse einziger Unwille.“
Die Täter selbst, ihre Erben und Nachkommen, waren dann durch den Rat gehalten zu versprechen, Brief und Siegel zu geben, den Altar in jedem Fall auf eigene Kosten wiederherzustellen. – Das erlaubt, neben ihrer Kenntnis der Verträge, etwas über den sozialen Hintergrund der Täter auszusagen: Brief und Siegel – das verweist, wenn nicht auf gute, so doch auf mehrbessere Häuser.

Gemeine Kilchgnossen von Schwanden
Darauf wurde auch die Kirchgemeinde befragt. Die Kirchgenossen liessen die Obrigkeit wissen, „sie hätten es gerne gehabt und hätten gewollt, die Tat wäre ihnen erspart geblieben. Denn wiewohl ihre Kirche gar eng sei und ihnen deshalb etwas Erweiterung zustehe, hätten sie es, wie zuvor, lieber mit mehr „Unkommlichkeit“ verbleiben lassen wollen, wenn aus der Altarsache einziger Widerwillen und Verdruss erwachsen sollte. Dieweil die Tat aber geschehen sei, [...], so bäten sie um die Möglichkeit, die Angelegenheit für diesmal auf sich beruhen zu lassen. Sie seien im übrigen erbötig und gutwillig, den Vertrag [...] zu achten.“
Die Kilchgenossen erwähnten zudem, die „taffelen“, die Altarbilder, hätten vor etlichen Jahren auf dem nun geschlissenen Altar gestanden. Dann habe das Glockenseil die „angebundenen“ Tafeln „ergriffen und ettwas umzogen“. Nach diesem Zwischenfall bewahrte man sie neben anderen katholischen Zierden in der Sakristei auf, denn von den Bildern stehe nichts in den [...] Verträgen [...], wussten die aktenkundigen und schlauen Schwander. Die Kirchgenossen räumten zudem ein, sie hätten – ebenfalls Jahre zuvor – den „zihtstein“, den Gewichtstein der mechanischen Räderuhr im Kirchturm, heruntergeschlagen. Den wollten sie auf eigene Kosten wiederherstellen. - Warum diese Selbstanklagen? Ein reumütiger Gestus gegenüber der Linie der vollendeten Tatsachen? Gut Wetter machen in Luzern? - Soviel steht fest – es ging 1595 nicht allein um den Altar, es ging auch um die Bilder des Hauptaltars (worunter Fridolin oder Hilarius) sowie um die Kirchenuhr. - Einige Kirchgenossen sympathisierten fraglos mit den Tätern. - Der Schwander Pfarrer erscheint im Glarner Ratsbuch ohne Namen einmal, von einem Katholiken als Lügenprädikant geschmäht, als Verunglimpfer des Vertrags von 1564. Es handelte sich um den 25jährigen Zürcher Josua Wäckerlin, der vom Landammann am 17. Oktober 1595 einen Attest für Wohlverhalten und Zufriedenheit der Kilchgnossen erhielt. – Beim Altar-Handel agierten wahrscheinlich in erster Linie junge Leute.

Ratssitzung vom 22. Juli
Nach der Untersuchung in Schwanden kam es am 22. Juli 1595 zu folgender Ratserkenntnis:
Verurteilung der Tat, doch Festhalten am neuen Zustand. Der Altarstein in die Sakristei verbannt. Zusage zum Wiederaufbau, indes nur, wenn die Messe verlangt werde. Hohe Busse für die Täter. Kostenfolge für die Täter (Altar) und für die Kirchgemeinde (Tafeln und Zeitstein). Keinerlei Kosten für den Landsseckel. Und vor allem erklärte Vertragstreue. – Dass sich die Fünf Orte damit nicht zufrieden geben würden, war den Evangelischen Räten klar. Ein wenig naiv versuchten sie dennoch, einen möglichst vertragsgemässen Ausgleich zu finden. - Der Rat und die Glarner Katholiken bezeichneten den Vorfall in Schwanden als „fäller“, als Fehler. Das ist eine unerwartet grossmütig freundliche Bezeichnung dessen, was die Fünf Orte dann ganz anders auslegten, nämlich als Sakrileg, als Schändung. Im geharnischten Schreiben der Fünf Orte an Evangelisch Glarus vom 14. November 1595 qualifizierten die Katholiken die Tat unmissverständlich als „fräffel“. Den Tätern wurde „muttwillen“ und „söllche lychtfertigkeit“ vorgehalten, ihre Verteidigung aber als „ussreden“ abgetan. Das Verhalten der Kirchgemeinde Schwanden und des evangelischen Rates, die Tat zu verurteilen, den Altar aber geschlissen zu belassen, galt den katholischen Orten als „widerspill“.

Katholisch Glarus
Die Glarner Katholiken fragten gleich nach der Tat Landammann und evangelischen Räte, ob der Altar „mit ihrem Wissen und Willen“ und gegen den Landesvertrag geschlissen worden sei. Die Antwort: Der Handel sei ihnen leid. Er sei ohne ihre Gunst, Wüssen und Willen geschehen. Die evangelischen Räte baten die katholischen freundlich, „sich in dieser Sache nicht von ihnen abzusondern“, sondern am Ratstag gemeinsam zu handeln und zu strafen, damit „Frieden, Ruhe, Wohlstand und Einigkeit“ nicht weiter gefährdet würden. - Am 30. Juli 1595 schrieb Katholisch Glarus an die Fünf Orte. Da "dem gemeinen bruch nach viel mehr und anders“ über den Vorfall geredet werde, müssten die katholischen Orte direkt verständigt werden. - Die Glarner Katholiken forderten gemäss Landesvertrag, doch im Wissen, keine Mehrheit im Rat zu haben, der Altar sei vollumfänglich und sogleich wiederherzustellen. Darauf referierten sie die Ratserkenntnisse vom 22. Juli und bevollmächtigten die Fünf Orte zu handeln.

Nachrichten
Die Schwyzer gingen umgehend daran, im Land Glarus Informationen zu sammeln. Ein Bericht vom 19. August enthält die Geschichte eines „alten, grouwen, kleinen“ Manns aus Bilten - die Stimme des gemeinen Mannes:
„Die zuo Schwanden im landt Glarus heigentt etwas uffruors gmachett, namlich ein altar nächtlicherwis us der kilchen geschlissen. Doch heige man sy (die das thon) drum gestroft. Und so des catholischen oder des alten gloubens mer dan des nüwen wärend gsin, so hettend sy den altar wider müessen lan machen. Diewil aber iren, der nüwen religion, mer sigentt, so wärds also bliben. Sy wellend gären gsen, wär sy dohin welle zwingen, den altar wider zuo machen. Es sigent woll die fünff ortt nütt wol zuofriden und wöltends nütt guott lon sin, sonder sy wöltend schier über sy, die zuo Glarus, kommen und sy überziechen. Aber sy frogentt inen nüd noch. Wan sy uff wöltend sin, so wärdend inen die Püntter hilfflich sin. Und so die fünff orth uszugentt, so wurdend die Bärner und Zürcher inne, den fünff orten, ins näst zuchen.“
Der Mann war über den Glarner Ratsbeschluss vom 22. Juli 1595 gut informiert. Seine Vorstellung von allfälliger Bündner-Hilfe (der seit 1590 mit Glarus verbündeten evangelischen Prättigauer) sowie die von Zürich und Bern erscheint nicht einfach aus der Luft gegriffen. – Das Selbstbewusstsein der Evangelischen Glarner: „sy wellend gären gsen“. - „uff sin“ und „ins näst zuchen“: ins Feld ziehen, einfallen - kriegerische Haltung hüben und drüben. - Die Rede wird in Schwyz keine Freude ausgelöst haben. - Die Zürcher kundschafteten wenig später in den Regionen Einsieden, March, Gaster. Ergebnisse: Gerüchte – zum Beispiel – die Schwander hätten mit den Altarsteinen das Mundloch eines neuen Backofens gemauert. Überall Musterungen mit Harnisch und Gewehr. Dazu sah der einfache Mann eine neue „Müllhauser-Sache“ (wie 1570) heraufziehen: Das Zurückschicken des Bundesbriefes mit abgeschnittenen Siegeln als kriegerische Absage. – Gut erkennbar: die Ängste aller Obrigkeiten vor der Gerüchteküche.

Tagsatzungen
Am 22. August kamen die Fünf Orte in Luzern zusammen. Sie fanden, die Neugläubigen Glarner könnten zur Widerherstellung des Schwander Altars angehalten werden, was die Gesandten an der Tagsatzung vorbringen sollten. Den katholischen Glaubensbrüdern an der Linth „wurde „tröstend geantwortet“. - Die eidgenössische Tagsatzung vom 24. August in Baden scheint über den Altar in Schwanden kein Wort verloren zu haben. Die Katholiken übergaben jedoch dem Glarner Abgeordneten, Landammann Elmer, erstmals ihre Klagen und Forderungen schriftlich. - Merkwürdigerweise ging am selben Tag, dem 24. August, ein Brief Landammann Elmers und etlicher evangelischer Räte an Zürich, worin Evangelisch Glarus Neuigkeiten und Ratschläge erbat.


Obrigkeit und Kirchgenossen
Evangelisch Glarus beriet das Schreiben der Fünf Orte am 28. August. Die Kirchgenossen von Schwanden wurden wohl am Sonntag, dem 31. August informiert: Sie hörten sich den Brief an: Der Altar sei nach dem Willen der Fünf Orte „anngäntz“ – „unverzogenlich“ - sogleich - wieder aufzubauen. Darnach erschien eine Abordnung der Kirchgemeinde vor der Obrigkeit und wünschte eine Bittschrift an die Fünf Orte: „Es gehe ihnen nicht um den einzigen Altar, der sie weder zuvor noch jetzt und wieder irgendwie gestört habe oder stören werde.“ - Ein krasser Widerspruch zum ersten Schwander Standpunkt. – „Es gehe vielmehr darum, dass sie über Nacht besorgen müssten, unruhige Gemüter würden damit weiter etwas vorkehren. Dadurch werde man neuerdings beunruhigt und bemüht. Und gleichwohl könnte etwas angerichtet werden,[...] mit mehr dergleichen Beschwerden, Sorgen, auch Gefahren, als sie ihnen (jetzt schon) auferlegt seien.“
Am 2. September 1595 bedauerte Evangelisch Glarus gegenüber den Fünf Orten den Handel und berichtete genau, was vorgekehrt wurde und was die Schwander Kilchgenossen gewünscht hatten: Landammann und Räte hielten dafür, die Geschichte könnte Schwanden in einige Gefahr bringen. Deshalb habe man die Glarner Katholiken gebeten, Schwanden „zur Vermeidung weiterer Befürchtungen und alldieweil den Katholiken betreffs ihrer Religion hierdurch keinen Abbruch, und auch deren Brauch und Übung keinerlei Hindernis geschehe“, [...] entgegenzukommen. Den Katholiken sollte ferner auferlegt sein, zum Handel „nüt bös dar zu reden“. - Evangelisch Glarus bat die Fünf Orte am Schluss nochmals, Schwanden nicht weiter zu „nöthigen“, wo doch Glarus ihnen vor der Tagsatzung in ähnlichen Fällen verschiedentlich entgegengekommen sei.
Geschah den Katholiken wirklich kein „Abbruch ihrer Religion“, wurde katholischer „Brauch und Übung“ nicht behindert? Direkt sicher nicht. Doch der Absicht des Landesvertrags von 1564 entsprach das Vorgehen nicht.


Entscheidungen
Eine allfällige Antwort der Fünf Orte auf den Brief vom 2. September liegt nicht vor. Doch am 9. November schrieben die Evangelischen Glarner einen kurzen Brief mit der Ankündigung, die Sache müsse vor den Rat. Darauf erfolge unverzüglich ein Bericht. - Das Zögern und Zuwarten scheint die Fünf Orte richtig aufgebracht zu haben. Ihr Schreiben vom 14. November gebrauchte starke Worte: Keine konfessionellen Vorhaltungen, sondern eine böse Schulmeisterei, was obrigkeitliches Verhalten ausmache. Der imperative Schluss: „Thuond also!“ - Am 20. November rang sich der Rat durch, den Altar wiederherstellen zu lassen, „glich wie der zevor gsin mitsampt der taffelen“. Gleichzeitig sei nach Luzern zu schreiben, man wolle dem Begehren der Fünf Orte willfahren, sie möchten jedoch ihrerseits die Schwyzer ermahnen, die bestehenden Verträge wegen der – gemeinsamen - Vogtei Gaster einzuhalten. - Ein kleiner Versuch eines kleinen Kuhhandels, das Gesicht zu wahren. - Die Kirchgenossen von Schwanden mussten sonntags den 30. November eine Kirchgemeindeversammlung abhalten. Der Rat schickte Landammann Elmer, Vogt Gensig von Matt und Fähnrich Vogel als Abgeordnete. - Offensichtlich wehrten sich die Kirchgenossen mit Erfolg gegen das voreilige „Tafel“-Angebot der Obrigkeit.

In der entscheidenden Sitzung des dreifachen Rates vom 2. Dezember 1595 war der Wiederaufbau des Altars nicht mehr zu verhindern. Er fand dann zwischen dem 2. und 11. Dezember unter Leitung des Glarner Pfarrers Mathias Krat – „Herr Mattheisen“ - statt.


Mandat
Der Rat erliess in derselben Sitzung noch ein Mandat, ein in allen Kirchen zu verlesendes obrigkeitliches Sendschreiben an sämtliche Mitlandleute. Der Wortlaut im Ratsbuch:
„Es soll von wegen des Altars und auch wegen der Religionsangelegenheiten ein Mandat ausgehen und verkündet werden, dass niemand den andern wegen Religionssachen noch wegen des Altars schmützen und schmähen solle, bei 5 Gulden Busse.“
Ein versöhnlicher Schlusspunkt? Recht besehen ja und nein. Das Stück war ein Selbstschutz, kam einer Besänftigung möglicher Unruhestifter beider Konfessionen und, darüber hinaus, wohl auch der Fünf Orte gleich. Das Ratsbuch bestätigt das Mandat. Evangelische Schmähungen aus Schwanden gegen Obrigkeit und Rat („sy sigen full und louw“), gegen den Altar („wass sy mit dem kätzer-huffen des altarss in der kilhen thuonn wellen“), katholische Reden gegen „das lutherische Chuefüdle-Evangelium“ und gegen die „lüg“ des Prädikanten von Schwanden – alles bestraft, ausgeommen die „lüg“ (hier würden sich die Reden von hüben und drüben aufheben – und der Handel solle nun „tot, hin und abgetan“ sein.) - Im Brief von Katholisch Glarus vom 12. Dezember 1595 an die Fünf Orte zeigte sich, dass die Katholiken nicht alles erreichten: „Wir hetten gärn gesächen und sind unssers theilss daran gsin, dass dess altarss taffeln ouch dahin sy dan gehört gestelt hete[n] mögen wärden, so aber zuo disser zitt underlassen verpliben.“ Doch sie legten auf die freundliche Bitte der Evangelischen gleichzeitig ein gutes Wort ein: „das ir sy disser zitt die taffelen uffzestellen überhebend [...].“ – Der Mittelweg.

Ergebnisse
- Altar und Tafeln waren das Katholische schlechthin
- In Schwanden zählte Praktisches (Ruhe im Dorf, Platz in der Kirche, Kosten) mehr als der Vertragsbuchstabe.
- Schwanden besass vor 1595 eine mechanische Räderuhr!
- Josua Wäckerlin war 1595 Prädikant zu Schwanden.
- Schwanden versetzte fast die ganze Eidgenossenschaft in Aufregung.
- Es kam praktisch zu keinen konfessionellen oder religiösen Verunglimpfungen zwischen den Obrigkeiten.
- Glarus war wenig selbständig.


Überdies
Ein Gewinn für die eben wieder aufgenommene Arbeit an den Glarner Kunstdenkmälern: die Tafeln waren 1657, 1753, 1845 ein Thema – „ein ewigs gschefft“.